Predigt am Ewigkeitssonntag über Markus 13, 31- 37 24. November 2013
31Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen.
32 Jenen Tag oder jene Stunde kennt niemand, die Engel im Himmel nicht, der Sohn nicht, nur der Vater.
33 Gebt acht, bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann der Zeitpunkt da ist. 34 Es ist wie bei einem Menschen, der außer Landes ging: Er verließ sein Haus, gab seinen Knechten Vollmacht, jedem seine Aufgabe, und dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein. 35Seid also wachsam, denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt: ob am Abend oder um Mitternacht oder beim Hahnenschrei oder am frühen Morgen, 36 damit er, wenn er auf einmal kommt, euch nicht schlafend finde. 37Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!
Wach bleiben! Er könnte kommen.
Es gibt Situationen, da fällt wach bleiben leicht. Wenn es spannend ist. Kinder schlafen nicht ein, wenn Weihnachten ist und sie gleich Geschenke bekommen sollen. Christen schlafen nicht ein, wenn sie damit rechnen, dass Jesus bald wieder kommt.
Aber er lässt uns warten. Im Jahr 30 ist er gekreuzigt worden. Das sind jetzt 1983 Jahre her – eine ganze Menge Zeit, wer kann die überblicken?
Da beruhigt es ein bisschen, dass Markus schon in seinem Evangelium schreibt: bleibt wach. Das ist um das Jahr 60 herum, also 30 Jahre nach der Kreuzigung. Da sind offenbar auch schon Christen müde geworden vom Warten – sonst hätte er das nicht aufschreiben müssen.
Aber jetzt fange ich am Anfang an: Eigentlich war den Christen von Anfang an klar: Er muss wiederkommen. Es ist ja so vieles noch nicht getan.
Jesus hat Menschen geheilt. Aber: noch viel mehr hat er nicht geheilt. Sie sind weiter krank.
Jesus hat mit Menschen gegessen. Aber: noch viele mehr haben weiter Hunger.
Jesus hat Menschen frei gemacht, die von Dämonen beherrscht waren. Viel mehr scheinen weiter von Dämonen beherrscht zu sein – und wenn es der Dämon der Habgier und der Konkurrenz ist.
Das Reich Gottes ist in seiner Nähe angebrochen. Aber: es muss sich doch auf der ganzen Welt verbreiten.
„Jesus, du musst wiederkommen!“ haben die Jünger gesagt, als klar wurde: bald ist er nicht mehr da.
„Ja“, hat Jesus geantwortet, „der Menschensohn kommt wieder. Dann macht Gott Erde und Himmel neu. Dann werden alle sehen, dass er der Herr ist.“
Natürlich wollten die Jünger wissen, wann das ist. Aber Jesus hat gesagt: das Datum kann niemand sagen. Nicht einmal ich weiß das. Das bestimmt Gott.“
Dann ist er gestorben. Als Auferstandener ist er den Jüngern begegnet. Sie haben ihn in den Himmel auffahren sehen. Und nun warten sie, dass er wieder kommt.
Weil es lange dauert, denken manche: „er kommt nicht wieder. Wir müssen uns hier einrichten.
Das sehen wir ja schon daran“, sagen sie nach ein paar Jahren „dass die ersten von uns sterben. Eigentlich hatten wir gedacht, er kommt vorher.“
Ich finde, das stimmt. Jeder Mensch, der stirbt, ist ein Argument gegen die Hoffnung auf das Reich Gottes.
Denn: wir sind ja Menschen. Zum Menschsein gehört das Leid. Jeder von uns hat schon geweint in seinem Leben, jeder von uns hat schon Schmerzen ertragen. Jeder von uns war zornig und verletzt.Wir nehmen Teil am Leid, das in der Welt ist.
Bei Paulus heißt es: alles Geschaffene sehnt sich nach der Erlösung. Wir sehnen uns mit – ob wir es nun aussprechen oder nicht. Jedes Weinen auf der Welt nimmt teil an dem großen Ruf: Gott komm und erlöse uns.
Natürlich ist das individuell. Wir werden gleich die Namen vorlesen von denen, im vergangenen Jahr bei uns gestorben sind und die Zahl der Lebensjahre. Hinter jedem Namen steht eine Geschichte, ein Weg. Auf jedem Weg gibt es Dinge, die gelungen sind. Die zeigen auf ihre Weise, dass Gott die Erde gut geschaffen hat. Auf jedem Weg gibt es Dinge, die zeigen: Die Welt ist noch nicht fertig. Wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Erde. Maranatha, komm, lieber Herr.
Wenn jetzt ein Mensch stirbt, dann heißt das: der Mensch hat gerufen und er ist nicht gekommen. In der Zeit dieses Menschen hat Gott sein Reich noch nicht endgültig errichtet. Wieder ist einer gegangen, ohne das Gott gekommen ist. Ein Schlag ins Gesicht der Hoffnung. Es ist schwer, dagegen an zu hoffen. Schon damals war es schwer.
Ich stelle mir vor, das hätte einer gebetet – in der Zeit, in der Markus sein Evangelium aufgeschrieben hat: Herr, wo bleibst du? So viele sterben. Du kommst nicht! Du hast es doch versprochen!
Und ich stelle mir vor, er hat die Antwort gehört: „Nein, ich komme noch nicht. Das dauert noch ein bisschen. Du kommst zu mir.“
Wie könnte der Jünger da reagiert haben?
Ich stelle mir vor, es ist eine Mischung. Ein bisschen Enttäuschung wäre bestimmt dabei. Es wäre ja wunderbar mitzuerleben, wie Gott die Welt in eine neue Welt verwandelt. Das mit erleben, aus der Nähe, aus dem Leben heraus.
Ich denke an die Geschichte mit dem Hirten. Der Tod fragt den Hirten: „Nichts, worauf du noch wartest?“ Der Jünger müsste da antworten: „Doch, eigentlich warte ich darauf, dass der Herr wiederkommt.“ Das würde es ihm schwer machen zu gehen.
Aber auf der anderen Seite kann ich mir auch vorstellen, dass er seinen Frieden damit findet. Jesus wird eines Tages kommen. Aber die Verantwortung ruht nicht auf ihm. Er muss nicht durchhalten. Er muss Gott nicht antreiben durch sein Gebet. Er darf sich selbst los lassen. Er darf zu Gott kommen.
Auch da denke ich an die Geschichte vom Hirten. Der hat die andere Seite gesehen. Das hat der Jünger nicht. Aber: er weiß, wer ihn da erwartet. „Ich hätte wohl Lust zu sterben und bei Jesus zu sein“, schreibt Paulus im Philipperbrief.
Diese beiden Pole. Seid wachsam, das bedeutet: haltet diese Spannung aufrecht. Auf der einen Seite die Erwartung. Er soll kommen. Er soll jetzt nicht länger warten. Die Welt braucht ihn. Zu viel Krieg, zu viel Hunger, zu viel Leid. Eben der Schrei, dass er bald kommt.
Und auf der anderen Seite: wir können es wirklich nicht beschleunigen. Er kommt, wenn er kommen will. Wir dürfen gelassen sein.
Es gibt ja die jüdische Vorstellung: der Messias kommt, wenn einmal ganz Israel den Sabbath richtig hält.
Es gibt Menschen, die ihren Kalender mit Zeichen der Endzeit abgleichen.
Markus schreibt: ihr könnt gar nicht wissen, wann er kommt. Vergeudet eure Energie nicht mit Rechnereien. Seid gelassen und wachsam.
Ich denke noch einmal an die Verstorbenen, an die, die uns fehlen. Ich denke über ihren Weg nach. Ich erinnere mich an das, was sie geschafft haben und was unfertig geblieben ist in ihrem Leben. Und ich denke: wir brauchen die Erlösung. Die gestorben sind erinnern mich daran: das Leben auf der Erde ist unvollkommen und wartet auf die Erlösung. Sie haben darauf gewartet, ich werde auch warten. Wir brauchen es, dass Gott kommt. Die Verstorbenen und wir Lebenden.
Mein Blick weitet sich. Vor denen, die ich gleich nennen werde, sehe ihre Mütter und Väter; vor denen ihre Vorfahren, bis hin zu Markus und seiner Gemeinde. Ich reihe mich ein in die Reihe derer, die warten. Vielleicht kommen ja nach uns noch Generationen. Aber am Ende kommt er.
Lieber Herr, komm bald!