Predigt am Ostersonntag über Johannes 20, 11-18 31. März 2013
11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein. 12 Und sie sieht zwei Engel sitzen in weißen Gewändern, einen zu Häupten und einen zu Füssen, dort, wo der Leib Jesu gelegen hatte. 13 Und sie sagen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie sagt zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. 14 Das sagte sie und wandte sich um, und sie sieht Jesus dastehen, weißaber nicht, dass es Jesus ist. 15 Jesus sagt zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Da sie meint, es sei der Gärtner, sagt sie zu ihm: Herr, wenn du ihn weggetragen hast, sag mir, wo du ihn hingelegt hast, und ich will ihn holen. 16 Jesus sagt zu ihr: Maria! Da wendet sie sich um und sagt auf Hebräisch zu ihm: Rabbuni! Das heißt ‹Meister›. 17 Jesus sagt zu ihr: Fass mich nicht an! Denn noch bin ich nicht hinaufgegangen zum Vater. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. 18 Maria aus Magdala geht und sagt zu den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und berichtet ihnen, was er ihr gesagt hat.
Wie viele Minuten werden da wohl beschrieben? Vielleicht 10 – aber dann sind es 10 Minuten die alles umkehren, für Maria zuerst und dann für uns alle. In 5 Abschnitte habe ich denn inneren Weg von Maria unterteilt.
Alles ist schlimm
Alles ist nur schlimm, das ist die Ausgangsposition, der Zustand, in dem Maria am Anfang ist. Am deutlichsten wird das, als sie antwortet: „Sie haben meinen Herrn hinweg genommen und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben." Das ist die völlige Verzweiflung. Jesus ist tot. Aber nicht nur das: auch der Leichnam ist weg. Sie könnte doch noch wenigstens etwas für ihn tun. Ihn einsalben. Die kann Haltung bewahren. Etwas tun, das ist das letzte, was ihr dagegen hilft, von der Verzweiflung überschwemmt zu werden.
Mit diesem brüchigen Damm gegen die Verzweiflung kommt sie zum Grab. Sie findet es leer. Sie kann nicht das tun, was sie tun wollte. Da kommen ihr die Tränen. Und als sie gefragt wird, bricht es aus ihr heraus: Sie haben meinen Herrn weggenommen.
Was geschieht, wenn die mühsam gebauten Dämme gegen die Verzweiflung einstürzen?
Bei kleinen Kinder kann man es sehen. Die haben die Dämme noch nicht aufgebaut. Sie spüren den Schmerz und fangen an zu weinen - ohne etwas dazwischen, es geht einfach los.
Später lernen wir es dann. Contenance heißt es auf Französisch. Haltung auf deutsch. Stiff upper lipp könnte man auf englisch sagen.
Wenn jemand die Haltung bewahrt, dann heißt das: er hat gelernt, das Leben geht weiter. Es ist schlimm, im Augenblick, aber es muss und wird nicht immer so bleiben.
Aber: wie soll es weiter gehen für Maria, wenn Jesus tot ist? Er hat doch ihr Leben geordnet. Auf ihn hat sie sich ausgerichtet. Auf ihn hat sie ihre Hoffnung gesetzt. In seiner Nähe hat sie gespürt: es ist gut. Und wenn es noch nicht gut ist, dann wird es gut werden. In seiner Nähe hat sie etwas vom Reich Gottes gespürt.
Es kann nicht weiter gehen. Sie hat wohl Dämme zu bauen gelernt. Aber wozu sollen die jetzt noch gut sein? Deshalb bricht es aus ihr heraus, als sie gefragt wird: Frau, was suchst du?
Nur äußerlich reagieren
Ein zweiter Zustand vermischt sich mit dem ersten. Ich habe ihn schon angedeutet. Er heißt: Nur noch äußerlich reagieren. Tun, was „man" eben tut. „Man" geht hin und pflegt den Leichnam.
Das Wort „Man" ist in so einer Situation ein guter Schutz. Ich bin überfordert, selber zu überlegen, was für mich dran ist. Woher soll Maria die Energie nehmen, die sie braucht für eine klare Überlegung? Für eine Entscheidung? Der „Man“-Weg sagt: nach dem Tod wird der Leichnam einbalsamiert.
Deshalb ist es so schwierig für sie, als der Leichnam weg ist. Mit einmal geht der „man"-Weg nicht mehr weiter. Mit einmal wird deutlich, wie wenig sie gerade einen Gedanken fassen kann. Sie wendet sich um. Sie sieht einen Mann. Sie stellt ihm die gleiche Frage.
Der Mann fragt sie zurück: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Aber sie antwortet gar nicht auf die Frage. Sie ist nur auf ihrem „Man"-Weg und will den Leichnam salben. Ohne zu verstehen fragt sie: Herr, hast du ihn weggetragen? Sag mir, wo du ihn hingelegt hast!
Den eigenen Namen hören
Da mitten hinein geschieht das, was erschüttert. Sie hört ihren Namen. Sie hört ihn so, wie sie ihn nur von Jesus gehört hat.
Unser eigener Name ist ein ganz besonders Wort. Wie oft bekommt ein kleines Kind seinen Namen von der Mutter gesagt? Er wird zu einer Lautfolge, die Geborgenheit und Sicherheit ausdrückt, ganz fest im Gehirn verankert.
Und es ist ja wirklich so: ich höre meinen Namen deutlich heraus, selbst wenn ich genau weiß, es sind nur Fremde in der Nähe und es kann nur jemand ganz anderes gemeint sein.
Das ist das eine. Das andere ist: ich kenne den Klang einer Stimme, wenn sie meinen Namen ruft. Was jemand zu mir sagt, das drückt ja immer auch etwas von der Beziehung aus, die er oder sie zu mir hat. Die Art, wie jemand meinen Namen ausspricht, drückt aus, wie wir zueinander stehen.
Das beides kommt zusammen. Maria hört ihren Namen und sie hört ihn, wie sie ihn nur von Jesus gehört hat.
Wir können nicht wissen, was genau der Klang von Jesu Stimme für Maria ausdrückt. Es ist ja ihr persönliches Verhältnis. Jesus redet sie an. Genau so, wie er mich anredet und Sie. Was er für mich bedeutet das ist etwas anderes als das, was es für Sie bedeutet. Er spricht mich mit meinem Namen an und Sie mit Ihrem. Ganz persönlich.
4) Ihn ganz haben wollen
Jesus ist wieder da! durchfährt es Maria. Jetzt will sie ihn ganz haben. Jetzt will sie ihn in den Arm nehmen, anfassen, spüren, ganz sicher sein, dass er da ist. Wo er ihr doch so gefehlt hat.
Jesus ist wieder da! Was mag ihr da durch den Kopf schießen?
Als ob es nur ein Albtraum war, was sie erlebt hat. Wahrscheinlich stimmt das gar nicht mit dem Kreuz. Er lebt. Alles was sie dachte zu wissen gilt mit einmal nicht mehr.
Bestimmt denkt Maria jetzt nicht über die Konsequenzen nach. Sie könnte sich ja fragen, wie das möglich ist, was ich da erlebe? Was bedeutet es, dass da einer von den Toten auferstanden ist?
Das ist für Maria jetzt egal. Das überlässt sie den Theologen mit ihren Büchern. Jetzt ist Jesus wieder da. Jetzt will sie ihn - ganz.
Sie will ihn anfassen. Sie will merken, dass es kein Geist ist, den sie vor sich hat, sondern Realität. Und sie will ihn festhalten. “Jetzt lasse ich dich nicht mehr los. Nie wieder. Um keinen Preis.”
Aber Jesus wehrt sie ab. “Ich bin noch nicht zum Vater aufgefahren,” sagt er. Ein Zwischenzustand: Nicht mehr richtig auf der Erde und noch nicht ganz im Himmel. Auf alle Fälle für Maria jetzt nicht zum Anfassen.
realistisch werden
Und da beginnt für Maria deutlich zu werden, wie das ist mit der Auferstehung ist. Die Realität, mit der Christen seither leben. Die Realität der Auferstehung. Das, was wir sagen, wenn wir im Glaubensbekenntnis sprechen: er sitzt zur Rechten Gottes, von dort wird er kommen.
Das ist nicht die normale Realität. In der normalen Realität muss man etwas messen oder wenigstens spüren können, dann ist es da.
Jesus ist auf andere Weise da. Die Auferstehungsgeschichten erzählen davon.
1) Er ist da als der, der er war. Maria kennt ihn an seiner Stimme, mit der er ihren Namen sagt. Die Emmausjünger kennen ihn an der Art, mit der er Brot bricht. Thomas erkennt ihn an seinen Wunden.
2) Er ist da als der, der Menschen den Weg weist und sie beauftragt. Geht nach Galiläa sagt er zu den Jüngern. An einer anderen Stelle: Geht hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker.
So ist er da. Nicht zum Anfassen. Aber: als der der Schmerzen und den Tod erlitten hat und als der, der den Weg weist und der Menschen beauftragt. Aber vor allem als der, der mich mit meinem Namen ruft, so wie es niemand anders kann.