Predigt am Sonntag nach Weihnachten über Jes 49, 13 -16 27. Dezember 2013

 

Frohlocke, Himmel, und juble, Erde! Ihr Berge, brecht in Jubel aus, denn der HERR tröstet sein Volk, und seiner Elenden erbarmt er sich.

 

14 Zion aber hat gesagt: Der HERR hat mich verlassen, und vergessen hat mich der Herr. 15 Würde eine Frau ihren Säugling vergessen, ohne Erbarmen mit dem Kind ihres Leibs? Selbst wenn diese es vergessen würden, werde doch ich dich nicht vergessen! 16 Sieh, ich habe dich in die Handflächen geritzt, stets sind deine Mauern mir vor Augen.

 

Zion sagt, der Herr hat mich verlassen. Das klingt traurig und mutlos - depressiv.

 

Wäre ja kein Wunder. Man kann sich vorstellen, wie es dem Volk Israel geht: Es ist in Babylon im Exil. Erst der Schock: die Babylonier haben uns besiegt, die Mauern der Stadt Jerusalem sind gefallen. Wir sind ihnen wehrlos ausgeliefert. Sie nehmen uns alles.

 

Dann sickert die Entscheidung der Babylonier durch: Sie nehmen uns mit nach Babylon. Der lange Weg. Nach der Ankunft: Die erste Not, in der man einfach mit dem Überleben beschäftigt ist. Erst, wenn die erste Not vorbei ist, kann man beginnen nachzudenken. Israel wird sich über seine Situation klar.

 

Das bedeutet für Israel immer auch die Frage: wie ist das mit Gott? Wie stehen wir als Volk vor Gott da? Und mit einmal merken die Menschen: die Alten Gebete bekommen einen neuen Sinn. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ - das war bisher die Klage eines Einzelnen. Das konnte jemand beten, wenn er an einer schweren Krankheit litt. Das konnte jemand beten, wenn er sonst in Not geraten war.

 

Aber mit einmal galt es für das ganze Volk. Jedenfalls für die, die in Babylon waren. Mit einmal wurde aus der Klage eines Einzelnen die Klage des Volkes: Gott, warum hast du Zion verlassen, Gott, warum hast du dein Volk ganz vergessen?

 

Einzelnen ging es ja wahrscheinlich schon besser. Es gibt immer Menschen, die sind anpassungsfähig an eine neue Situation. Aber insgesamt stimmte es nicht. Wo war die Herrlichkeit Gottes? Wo war seine Kraft, mit der er Israel führte? Wie konnte er zulassen, dass sein Tempel zerstört war? Wie konnte er zulassen, dass sein Volk so weit weg vom Zion lebte?

 

Das klingt depressiv, habe ich gesagt. Sehen wir genauer hin!

 

Depression, das lateinische Wort heißt: Entspannung. Depressiv sein, das heißt, die Anstrengung, die Anspannung herausnehmen. Das kann ein wichtiger Schritt zur Heilung sein.

 

Es kann ja sein, dass sich meine Anstrengung gegen Windmühlenflügel richtet – ich kämpfe, wo ich nichts erreichen kann.

 

Für Israel: Und wenn sie sich noch so sehr wünschen zu Hause zu sein, sie sind es nicht. Sie sind in Babylon. Alles Wünschen hilft ihnen da nicht weg. Die Babylonier haben die Macht und sie werden sie nicht ziehen lassen.

 

Ich glaube: viel Depressives bei uns hängt auch an dem Kämpfen, wo nichts zu erreichen ist.

 

Zum Beispiel: die Traurigkeit darüber, keinen Partner zu finden. In Hamburg sind inzwischen mehr als die Hälfte der Haushalte Single-haushalte – aber: die meisten sagen: eigentlich wollte ich das gar nicht. Ich hätte viel lieber einen Partner, eine Partnerin. So viele finden niemand. Aber einen Partner kann ich ja nicht erzwingen, je mehr ich das versuche, desto unattraktiver werde ist. Da hilft kämpfen nichts.

 

Oder: du willst im Beruf richtig gut sein. Du kannst im Beruf richtig gut sein wollen. Du musst bloß dabei wissen: die Ziele werden immer so gesetzt, dass du sie grade nicht erreichen kannst. Falls du sie doch erreichst, werden sie eben etwas höher neu definiert. Wenn du dir vornimmst: ich erreiche die Ziele, dann wirst du dich auf die Dauer überfordern. Burn out heißt das, der kleine Bruder der Depression.

 

Und schließlich: Weihnachten kann auch etwas Depressives enthalten. Wenn ich an das Wunder von Weihnachten denke, dass ich als kleines Kind erlebt habe, die großen Geschenke und die Leckereien, wie ich sie nie erwartet hätte – das Wunder des Baums mit den vielen Kerzen – dann kann ja ein aktuelles Weihnachten dagegen doch nur abfallen. Auch das kann traurig machen: ich kann das Wunder von damals nicht wiederholen – und wenn ich es versuche, dann merke ich: ich bin jetzt erwachsen. Ich bin kein Kind mehr.

 

Was verkündet Jesaja in dieser Situation, in der Israel sich depressiv fühlt und verlassen vorkommt? Was hört er von Gott?

 

Das sagt Gott, sagt Jesaja: Natürlich habe ich dich nicht vergessen. Noch weniger, als eine Frau ihr neugeborenes Kind vergisst, werde ich dich vergessen.

 

Mehr eigentlich nicht. Ich denke an dich, Israel. Ich sehe dich. Ich sehe dich in Babylon, weit weg von zu Hause. Ich sehe, wie es dir geht, ich sehe die Zweifel, mit denen du kämpfst, ich sehe deine Verzweiflung.

 

Jesaja bringt ihnen keine Lösung. Da kommt eben für Israel nicht der Blitz vom Himmel, der den König erschlägt, so das die Oberen vor Schrecken das Volk wieder nach Hause schicken und Jerusalem wieder aufbauen lassen.

 

Sondern Gott sagt: Ich bin da. Ich vergesse dich nicht. Das soll dir jetzt genügen.

 

Und damit sind wir eigentlich bei Weihnachten. Genau das sagt ja Weihnachten: Gott kommt in die Welt. Gott ist da. Wir dachten, er sei weit weg – jetzt kommt er als Kind in der Krippe.

 

Auch das ist ja eigentlich keine Lösung. Für die Hirten: die werden weiter ihre Herden hüten. Was hat sich für die geändert? Für die Weisen: die werden zurück in den Osten reisen und weiterleben. Was hat sich für sie geändert?

 

Jesus wird predigen und heilen, aber das ist ja 30 Jahre später. Ob sie das mitbekommen? Ob sie davon hören? Wir wissen es nicht und es kommt mir eher unwahrscheinlich vor. Die Menschen damals sind im Durchschnitt nicht so alt geworden.

 

Den Hirten und den Weisen musste genügen, was sie da gesehen haben: Gott ist in der Welt. Gott ist da.

 

Heute ist es doch ähnlich. Die Zahl der Single-haushalte in Hamburg dürfte nach Weihnachten unverändert sein. Die beruflichen Ziele werden nicht neu definiert.

 

Aber wir haben gesagt bekommen: Gott ist Mensch geworden. Gott ist in seiner Welt. Das unterscheidet die Zeit nach Weihnachten von der Zeit vor Weihnachten.

 



 

Aber jetzt habe ich noch nichts über den Anfang des Predigttextes gesagt. Da steht: Frohlocke, Himmel, und juble, Erde! Ihr Berge, brecht in Jubel aus, denn der HERR tröstet sein Volk, und seiner Elenden erbarmt er sich.

 

Ein großes Bild. Eine jubelnde Erde und ein frohlockender Himmel. Wie kommt es, dass die jubeln?

 

Weil der Herr sein Volk tröstet. Weil er das tut, was ich gerade beschrieben habe.

 

Die ganze Schöpfung soll jubeln, weil ein paar Menschen getröstet werden? Weil sie den Mut bekommen weiter zu gehen?

 

Ja genau! Ich stelle mir vor: wenn ein Kind Gottes neuen Mut bekommt, dann jubelt die Schöpfung.

 

Sie jubelt für den, der neuen Mut bekommt.

 

Denn so erlebt man es ja, wenn eine Phase der Traurigkeit zu Ende geht. Die Schöpfung wird wieder farbiger. Oder, wenn man mehr akustisch gestrickt ist: sie fängt wieder an zu klingen.

 

Wenn Gott da ist, dann bekommt die Schöpfung Farbe und Klang, sie antwortet und ich darf daran teilhaben.

 

Und was mit mir heute schon persönlich geschieht, das wird am Ende mit allen Menschen und der ganzen Schöpfung geschehen. Die Schöpfung wird jubeln. Der Himmel frohlockt.

 

Der Anfang dazu ist gelegt – im Kind in der Krippe. In den Herzen, die ein kleines bisschen Mut bekommen und wagen, den nächsten Schritt zu gehen. Damals in Babylon. Oder: in Israel. Oder heute in Hamburg oder in Winsen.