Predigt am 1. Sonntag nach Trinitatis über Jesaja 42, 1-4 12. Januar 2014

 

1 Seht meinen Diener, ich halte ihn, meinen Erwählten, an ihm habe ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, das Recht trägt er hinaus zu den Nationen. 2  Er schreit nicht und wird nicht laut und lässt seine Stimme nicht hören auf der Gasse. 3 Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den verglimmenden Docht löscht er nicht aus, treu trägt er das Recht hinaus. 4 Er erlischt nicht und wird nicht geknickt, bis er das Recht in Kraft gesetzt hat auf der Erde; auf seine Weisung warten die Inseln.

 

Manchmal lassen wir uns entführen in eine fremde Welt. ZB, wenn wir ins Kino gehen. Das ist ja anders als Fernsehen. Ich suche mir vorher genau den Film aus. Ich verabrede mich. Ich mache mich auf den Weg. Ich bezahle Geld. Ich betrete den Kinosaal. Es wird langsam dunkel. Der Film beginnt.

 

Und dann? Dann kommen 1 ½ Stunden in denen ich auf das konzentriert bin, was da auf der Leinwand geschieht. Die Stimmen, der Klang der Musik, das Geschehen, was sich abspielt. Ich tauche ein in eine fremde Welt.

 

Ich kann nicht wie beim Fernsehen in ein anderes Programm zappen. Ich nicht den DVD- Spieler stoppen, um eben mal zum Klo zu gehen und es kommen keine Werbepausen. Natürlich kann ich raus gehen – aber dann bin ich draußen und komme eben nicht zurück.

 

Wenn die Zeit zu Ende ist, werde ich auftauchen, aufstehen, noch ein bisschen steif die schräge Ebene hinuntergehen zum Ausgang.

Haben Sie sich das einmal angesehen, wie Menschen aus dem Kino kommen? Früher, in der Zeit der großen Western, da hatte man den Eindruck: die Männer gehen alle ein bisschen o-beinig, die Hand am Gürtel, weil da der Colt hängt.

 

So etwas tut der Predigttext auch: er entführt uns in eine andere Welt. Er lässt uns teilhaben an einer Sitzung im Thronrat Gottes. Da wird entschieden, wie es mit der Welt weiter geht.

 

Stellen Sie sich vor: Wir lassen unsere normale Welt hinter uns und kommen in einen Saal. Ich stelle in mir wie eine Mischung aus Thronsaal und Bundestag vor. Vielleicht gibt es so etwas wie Besucherplätze.

 

Wo sind wir? Das erkennen wir, ohne dass es uns erklärt werden muss. Es ist der Thronsaal Gottes. Da regiert er mit seinen Engeln. Wir erschrecken. Wir sind im Zentrum der Macht der Welt. Hier entscheidet es sich, wie sich die Elektronen drehen und welche Bahn die Sterne nehmen.

 

Die Sitzung scheint im Gang zu sein. Keiner stört sich an uns, aber das ist uns recht. Wir spüren sehr deutlich: als sterbliche Menschen ist es gut, wenn wir nicht zu sehen und zu hören sind.

 

Da betritt jemand den Saal. Leider sitzen wir ungünstig, wir können sein Gesicht nicht sehen. Gott legt ihm die Hand auf die Schulter. „Seht mein Diener“, sagt er.

 

Durch die Reihen des Thronrats geht ein Erstaunen. So haben sie sich den Diener Gottes wohl nicht vorgestellt, denken wir.

Aber Gott redet weiter. Was sagt?

 

„Ich halte meinen Erwählten, an ihm habe ich Gefallen.“

Eine wichtige Information, jedenfalls für die im Thronrat Gottes. Die müssen ja wissen, wen der Chef aussucht. Die müssen ja wissen, in welche Richtung es geht.

 

„Ich haben meinen Geist auf ihn gelegt, das Recht trägt er hinaus zu den Nationen.“

 

Das ist schon ein großer Auftrag, denken wir. Der Geist Gottes, das bedeutet Macht und Erkenntnis.

 

Im alten Israel: wenn Israel in Gefahr ist, dann kommt der Geist Gottes über die Kämpfer. Mit einmal sind sie in der Lage, ihre Feinde zu besiegen. Der Geist Gottes ist Macht.

 

Und Erkenntnis. Paulus sagt: er ist es, der die Tiefen Gottes erforscht. Der Knecht Gottes erfährt, was in Gott vorgeht. Das kann er mitteilen. Ein Prophet denken wir. Durch Propheten hat Gott die Israel wissen lassen, wie es in seinem Herzen aussieht.

 

Aber bei diesem Diener scheint das weiter zu gehen. Von den Nationen ist die Rede. Ein Menschheitsprophet, nicht nur einer für Israel. Ihnen soll er das Recht Gottes bringen.

 

Was ist das Recht Gottes? Das Recht ordnet die Dinge, wenn Menschen verschiedener Meinung sind. Das Recht Gottes ist die Art, in der unsere Angelegenheiten vor Gott geordnet sind. Was gut ist und was böse.

 

Es scheint, dass wir eine ziemlich entscheidende Sitzung geraten sind.

Wir sind gespannt, wie es weiter geht. Wird Gott seinem Thronrat sagen, was sein Diener für eine Botschaft hat?

 

„Er schreit nicht und wird nicht laut und lässt seine Stimme nicht hören auf der Gasse.“ Wieder erstaunlich. Gerufen haben die Propheten. In den Gassen haben sie geschrien. Im Tor haben sie gestanden, da wo Recht gesprochen wird. Und um Recht geht es ja auch hier. Was bedeutet das, „er wird nicht schreien“? Wie bringt er denn dann das Recht zu den Menschen?

 

Aber Gott redet schon weiter. „Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den verglimmenden Docht löscht er nicht aus, treu trägt er das Recht hinaus.“

 

Wenn er das tut, dann ist seine Botschaft wirklich neu. Die alten Propheten haben Unheil für Israel verkündet. Das hatte nichts mit einem glimmenden Docht zu tun. Die haben eher gesagt: Ihr fühlt euch stark, aber das ist eine Täuschung. Wenn Gott kommt, dann kommt er als Richter. Dann werdet ihr klein, wo ihr euch jetzt groß vorkommt.

 

Dieser Knecht Gottes sagt etwas anderes. Der hat eine Botschaft für Schwache. Der soll bewahren und fördern, nicht zerbrechen.

Ein neues Verständnis von Gottes Recht. Es wäre ein Recht, dass die Menschen aufrichtet. Ein Recht des Heils. Ein Recht, dass jedem einen guten Raum zum Leben gibt.

 

Wird das gelingen? Zum Schluss stattet Gott seinen Knecht mit Durchhaltevermögen aus: „Er erlischt nicht und wird nicht geknickt, bis er das Recht in Kraft gesetzt hat auf der Erde.“

 

Unsere Zeit im Thronsaal Gottes ist beendet. Wir haben einen Blick in eine andere Welt getan – jetzt kehren wir zurück in unsere normale Welt. Und genau wie beim Kino stellt sich die Frage: was nehme ich mit? was ist anders? Wie hat uns dieser Einblick verändert?

 

Es ist ja die gleiche Welt, in die wir kommen – aber ich habe den Eindruck, sie sieht ein bisschen anders aus: nicht mehr: Gott da suchen, wo das laute Geschrei ist. „Er schreit nicht laut“, sagt Gott von seinem Knecht. Das heißt: es ist nicht sinnvoll, Gott da zu suchen, wo lautes Geschrei ist. Wenn ich auf die Suche nach Gott gehen will, dann ist es schlauer, an den Rand zu gehen, in Hamburg eher auf die Veddel als nach Blankenese oder in die City – wobei es sicher in der City auch Stellen am Rand gibt. Da ist Gott eher zu finden. Das ist das Erste.

 

Nicht mehr: Gott bei den glatten Lösungen suchen

Ein geknicktes Rohr kann ich ganz abbrechen, das sieht einfacher aus, als es zu unterstützen, zu heilen, zu reparieren. Einen glimmenden Docht kann ich ganz auslöschen, das sieht einfacher aus, als wenn ich versuche, das Feuer wieder zu entfachen.

Menschen die straffällig werden, können wir einsperren, dann sind wir sie erst einmal los – Menschen die sich merkwürdig anstellen auch.

 

Man kann sogar fordern: wer Kinder missbraucht, soll getötet werden. Sind wir das Problem dann auch los?

 

Wer mit im Thronsaal Gottes war, der wird misstrauisch gegen solche Lösungen. Der fragt nach: gibt es da keine anderen Möglichkeiten?

 

Gott suchen, wo Menschen aufgerichtet und ermutigt werden

So jemand wird Gott da suchen und finden, wo Menschen aufgerichtet werden, wo sie neuen Mut bekommen. Wo vorsichtig Lösungen in vertrackten Situationen gesucht werden. Wo bei allem immer klar ist: Gott geht es um die Menschen, die es schwer haben.

Christen haben gesagt: der, den wir da im Thronsaal nicht so genau erkennen konnten, das war Jesus. Der hat genau so gehandelt. Der hat Menschen aufgerichtet – ganz klar sieht man das an der verkrümmten Frau – aber auch an jeder anderen Heilungsgeschichte.

 

Der hat seinen Weg durchgehalten bis zum Kreuz. Und im Glaubensbekenntnis sagen wir: er sitzt zur Rechten Gottes. Genau da im Thronsaal. Wahrscheinlich war er es doch.