Predigt am 2. Advent über Jesaja 35, 1-10  am 9.12.12

 

3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! 4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«


Das ist der Anfang des Predigttextes. Wir haben gestern im Konfirmandenunterricht gefragt: Wem sagt Jesaja das? Es müssen Menschen sein, die verzagt sind, die sich fürchten. Es wird gesagt zu Menschen, deren Hände müde sind und deren Knie wanken.

„Ja“, würde Jesaja sagen. „so sind sie. So ist mein Volk Israel. Sie sind müde. Es ist schwer, ein Land aufzubauen, das so lange wüst lag. Die Menschen sind erschöpft, sie haben es nötig, dass man sie aufrichtet.“

Wie geht der Text weiter?

 

5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden.6 Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken.


Wieder die Frage: An wen mag sich so etwas richten? Wieder würden wir von Jesaja vermutlich eine ähnliche Auskunft bekommen: Auch das ist mein Volk: Blind sind sie. Wie Blinde nehmen sie nur das wahr, was unmittelbar vor ihnen liegt. Sozusagen in Tastweite. Sie haben keinen Durchblick mehr. Sie verstehen nicht, was Gott mit ihnen vorhat.

Sie hören nichts. Sie sind nicht aufmerksam auf das, was ihnen gesagt wird. Da waren Propheten, die hatten etwas zu sagen. Es verhallte. Sie hörten nicht zu.

Und, ganz klar: wem der Durchblick fehlt und die Perspektive, wer nicht die Botschaft hört, die ihn befreien könnte, der kommt auch nicht vorwärts. Der wird lahm. Und er wird auch nichts mehr sagen. Was sollte er sagen? Wem sollte er etwas sagen? Und warum? Wir hören den Text weiter:

 

Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. 7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.


Ganz klar: hier hören wir, wo die Menschen leben, zu denen Jesaja redet: Sie leben in Wüste und Steppe. Da ist es trocken. Wasserarmut.

 

Nach nichts mehr sehnen sich die Menschen, als nach Brunnen und Flüssen. Da können sie leben. Da kann etwas wachsen.

So trocken, wie es jetzt ist, ist es ein Land der Schakale, Menschen können auf die Dauer nur als Einsiedler da wohnen.

 

Aber: die Schakale – so sagt es Jesaja – sollen durch Schilf und Rohr ersetzt werden. Wasser in Fülle – damit fängt für die Menschen dort das Paradies auf Erden an.

 

8 Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. 9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. 10 Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.


Wieder die Frage: wem ist das gesagt? Antwort: einem Volk, das zerstreut ist in viele Länder. So wie es das Volk der Juden durch die Jahrtausende immer wieder war, auch zur Zeit Jesajas.

 

„Weit weg sind die, die ich kenne. Weit weg sind die, die ich eigentlich zum Leben brauche. Das Wunderbarste, das geschehen könnte, das wäre eine Straße, die alle nach Hause führt. Eine sichere Straße: kein Löwe bedroht die Wanderer, kein reißendes Tier. Ein markante Straße: auch ein Tor wird darauf nicht herumirren. Allen wird der Weg klar sein, der nach Hause führt.“

 

Dazu noch den ersten Abschnitt aus dem Kapitel:

 

Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. 2 Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Scharon. Sie sehen die Herrlichkeit des Herrn, die Pracht unsres Gottes.


Eine Wüste, die frohlockt. Eine Steppe, die jubelt – das überschreitet nun wirklich alles, was wir uns vorstellen. Spätestens da wird deutlich: das, was Jesaja ansagt: dass Gott kommt. Wenn Gott kommt, ist die ganze Schöpfung dabei. Dann kann das fruchtbare Land nicht einfach im Libanon bleiben, dann kommt es. Karmel, die fruchtbare Hügellandschaft und Scharon, die fruchtbare Ebene, sind mit einmal da – denn es geht um die Herrlichkeit Gottes.

 

Das hat Jesaja dem Volk zu sagen. Gott kommt. Müde wie ihr seid dürft ihr auf ihn hoffen. Und wir? Und unser Advent in St. Jakobus im Jahr 2012, wie ist es damit? Zwei Dinge für uns aus dem Text:

 

Das erste: der Advent ist eine politische Angelegenheit. So, wie wir den Advent in der Regel feiern, hat er etwas stark Persönliches. Das ist gut und richtig. In „Macht hoch die Tür“ heißt die letzte Strophe: Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist“ - das gehört dazu.

 

Aber Advent ist eben auch politisch. In „Macht hoch die Tür“ heißt es auch: „o wohl dem Land, o wohl der Stadt, die diesen König bei sich hat.“ Persönlich und politisch, das ist für die Bibel kein Gegensatz. Das gehört zusammen.

 

Bei Jesaja: Gott setzt seine Macht durch und holt sein Volk nach Hause. Gegen die Feinde, die das verhindern wollen.

 

Die Verhältnisse in der Welt werden umgekrempelt. Es gilt eben nicht mehr, dass Gewalt und Geld regieren. Gott regiert. Von Feinden ist nicht die Rede bei Jesaja. Aber: auf der Straße zum Zion wird keiner gehen, der unrein ist. Heißt das, dass viele ausgeschlossen bleiben? Oder heißt das, dass Gott alle rein macht, damit sie alle auf der Straße gehen können? Es bleibt offen.

 

Die Wüste frohlockt, sagt Jesaja und die Steppe jubelt. Können Sie sich vorstellen, dass es dann eine Regierung gibt, die einfach so weiter regieren kann? Und der Regierungssprecher sagt: „Wir stellen uns natürlich auf die neuen Gegebenheiten ein, aber schon Bundeskanzler Helmut Kohl hat ja blühende Landschaften versprochen – insofern sehen wir keinen Grund von dem bisher eingeschlagenen Weg abzugehen.“ So etwas geht dann nicht mehr. Wenn Gott kommt, dann entstehen neue Machtverhältnisse. Jesajas Text ist politisch.

 

Und das zweite. Der Text sagt: Es geht zuerst um die Armen. Es geht zuerst um die, die müde sind. Um die Knie, die weich werden. Um die, die blind sind und taub und deshalb auf die Barmherzigkeit ihrer Mitmenschen angewiesen, um die Stummen, die eben nicht für sich selbst reden können.

 

Ich sage es noch einmal in einem Bild: Jesaja holt Advent heraus aus den bürgerlichen Wohnzimmern – mit einmal ist er bei den Hinz und Kunzt Verkäufern. Da wo es nicht so gut aussieht und vielleicht auch noch schlecht riecht. Dahin kommt Gott.

 

Darum bitten wir übrigens, wenn wir das Vaterunser beten. Genau das ist gemeint, wenn wir sagen: Dein Reich komme. Oder: dein Wille geschehe.

 

Eigentlich auch, wenn wir bitten: unser tägliches Brot gib uns heute. Denn: das heißt ja, gib uns heute, was wir zum Leben brauchen. Uns, das heißt allen Menschen. Denn wenn Gott mein Vater ist, dann ist er auch dein Vater, unser Vater, der Vater aller Menschen.

Manchmal denke ich: sei vorsichtig, Ulli, willst du das überhaupt, was du da im Vaterunser betest? - aber dann bete ich es doch, weil ich denke: Es ist gut, wenn Gottes Reich kommt, auch wenn es mir ein paar von meinen Privilegien wegnimmt.

 

Das heißt Advent. Es heißt: Gott kommt mit seiner Gerechtigkeit. Gott erlöst sein Volk, seine Menschen. Gott kommt mit seiner Macht. Das meint Jesaja. Darum bitten wir, wenn wir das Vaterunser beten – eigentlich immer, aber besonders jetzt im Advent.